Ergotherapie ist so vielfältig wie ihre Patienten:

Erwachsene fragen mich, sich wundernd: “Sie behandeln auch Kinder? Was haben die denn?”

Kinder fragen mich, sich wundernd: “Du hast auch Erwachsene? Was haben die denn?”

Elementare Körpererfahrungen mit der PlattformschaukelKinder kommen in die Ergotherapie, wenn Eltern oder Lehrer oder Kindergärtner oder, manchmal, der Kinderarzt, etwas beobachten, was sie eigentlich nicht erwarten:

  • Verhalten ist ungewöhlich – träumt, kann sich auf nichts konzentrieren, ist unruhig /zappelig, wird aggressiv oder niedergeschlagen
  • Schreiben, Lesen und/oder Rechnen bereiten ungewöhliche Mühe und es kommt zu Vermeidungsversuchen
  • Keine Freude an Bewegung (Schlittschuhlaufen, Rollschuhlaufen, Rennen, Ballspiele, Fahrradfahren, Schulsport) weil es oft hinfällt oder anstößt oder zu langsam, zu träge ist
  • Keine Freude an Tätigkeiten mit der Hand: malen, basteln, werken, handarbeiten. Vermeidungsversuche
  • Schwierigkeiten mit der “inneren Ordnung” und der äußeren Ordnung (drückt sich z.B. in der Sprache aus, in der Heftgestaltung, in der Aufgabenbewältigung, ist dem Schulranzen, Schreibtisch und dem Zimmer anzusehen, ….)

Übrigens: ich biete keine Gruppentherapie an, denn den Kindern fehlt häufig die Einzel-Aufmerksamkeit, in der sie sich Fehler erlauben dürfen ohne in Bewertungsdruck zu geraten. Die meisten Kinder sind viele Stunden in Gruppenzusammenhängen und haben nur noch wenig Zeit oder Gelegenheit, sich selbst in unterschiedlichen Anforderungs-Situationen kennen zu lernen.

Häufig verändert sich das Kind auch in seinem Gruppenverhalten, wenn z.B. herausgefunden werden konnte, daß es im räumlichen Sehen ein Problem hat, oder überempfindlich auf Berührungen reagiert. Für die formulierbare, individuelle Befindlichkeit zu finden, ist nach meiner Überzeugung immer eine Einzel-Beziehung notwendig.

Der Ablauf

VerordnungTherapie-BeginnVerlaufKonsequenzen

Sie berichten dem Allgemein- oder Kinderarzt über die Schwierigkeiten Ihres Kindes zuhause, in der Schule bzw. dem Kindergarten. Da die Handlungsfähigkeit des Kindes in seinem Alltag betroffen ist, wird der Arzt nach seinen Untersuchungen und evtl. eigenen Tests sich für eine Ergotherapie entscheiden. Sie erhalten ein solches Rezept, wie links abgebildet.

Sie rufen an und wir vereinbaren Termine

Zunächst treffen wir uns ohne Kind zu einem ersten Gespräch über den Entwicklungsverlauf, Ihren Sorgen, der Alltags-Situation Ihres Kindes, seine Geschichte. Das dauert ca. 60 bis 90 Minuten.

Gut ist es, wenn Sie sich zu diesem Termin einige Gedanken gemacht haben (wann war was, ungefähr), seit wann gibt es Probleme, was ist schon früher aufgefallen.

Wenn beide Seiten sich eine engere Zusammenarbeit vorstellen können, vereinbaren wir die ersten Termine, wobei mir ein fester Tag und eine feste Stunde wichtig ist. Wahrscheinlich werden wir uns über einen längeren Zeitraum sehen, und es hat sich als besser erwiesen, wenn sich die Ergo-Stunde fest in den Wochenplan einfügt.

Alle Kinder durchlaufen im Laufe der Zeit, meist ohne daß sie es bemerken, Beobachtungs- und Befundsituationen. Alle alltagsrelevanten Bereiche werden angesprochen:

Bewegungsentwicklung

Bis zum Schulalter sollten die Bewegungen frei von den frühkindlichen Reflexen, die Dominanz einheitlich (Fuß, Hand, Auge, Ohr) und überwiegend entschieden, die Bewegungsvielfalt (Geschicklichkeit) gut ausgebildet und die Bewegungsimpulse kontrollierbar sein. Gute und zahlreiche Bewegungserfahrungen bilden eine gute neuronale Vernetzung, der Körper bildet sich in den ersten Jahren zu einem für alle Vorhaben einsetzbares Instrument aus.

Es kann aber die Entfaltung zur freien Bewegung gehemmt sein, wenn beispielsweise die Geburt mit Kaiserschnitt erfolgte, die Mutter in der Schwangerschaft viel liegen mußte, die Geburt schwer war, sich die Nabelschnur um den Hals legte, das Kind mit äußerer Hilfe sitzen und laufen gelernt hat. Lesen Sie hierzu auch hier >>> zum Thema “Bewegung”.

Die Nutzung der Sinne

Wir unterscheiden drei Bereiche unserer Sinnesorganisation:

  • Körpersinne – sie geben Auskunft über Ereignisse mit und an unserem Körper. Zu ihnen gehören der Tastsinn, der Bewegungssinn und der Gleichgewichtssinn.
  • Umweltsinne – sie geben Auskunft über die Welt um uns herum. Wir können riechen, schmecken, sehen und hören.
  • Soziale Sinne – mit ihnen nehmen wir den anderen Menschen wahr, seine Sprache (Wortsinn), die Gedanken hinter den Worten des anderen (was ist gemeint?), und wir spüren auch mit geschlossenen Augen, ob sich jemand in unserer Nähe befindet.

Kein Sinn kann alleine für sich arbeiten, braucht wenigstens einen zweiten dazu: Ohne Bewegung keine Berührungsempindung, kein Hören, kein Sehen. Ohne Bewegungssinn keine Form-Wahrnehmung, kein Gleichgewicht und keine Körperwahrnehmung. Ein kompliziertes Gesamtwerk sind unsere Sinne.

Die Ausbildung der Sinne geschieht nicht von alleine, sie brauchen vielfältige Gelegenheiten um zu Erfahrungen zu führen. Die ersten Jahre im Leben sind ganz dem Aufbau gewidmet, dem Aufbau und der größtmöglichen Vernetzung breitgefächerter Erfahrungen und Beziehungen. Darauf baut der Mensch sein ganzes Leben lang.

Bildschirme produzieren Wahrnehmungsstörungen in allen Bereichen, denn was auf einem zweidimensionalen Bild zu sehen ist, ist weder visuell die Wahrheit, noch ist es fühlbar, riechbar, noch muß der eigene Körper in irgendeine Beziehung zu dem Gesehenen treten – für Erwachsene weniger ein Problem, wohl aber für Kinder, die ihre Sinnesorganisation unmittelbar an Erlebtem aufbauen. Die Sinne werden auf vielen Gebieten belogen.

Koordination

Die Systeme müssen zusammenarbeiten, damit sich mit ihnen “arbeiten” läßt. Das Auge führt die Hand, Auge und Gleichgewichtssinn und Haltungsreaktionen arbeiten zusammen, um aufrecht zu gehen, Fahrrad zu fahren, am Tisch sitzen und schreiben, malen, essen, handarbeiten zu können.

Kognitive Entwicklung

Jede Wahrnehmung führt zu einer Erkenntnis und zu einer körperlichen Reaktion. Die Fähigkeit, Wahrnehmungen zu ordnen, einzuordnen, wiederzuerkennen, hinzuzufügen, zu verbinden und zu einer Handlung zu kommen ist eine großartige Leistung des Gehirns. Das Gehirn ist ein Beziehungsorgan. Ist eine Wahrnehmung gestört, kann das Gehirn nicht zu dengleichen Ergebnissen kommen, wie bei einen geübten Wahrnehmung mit geschulten und geschärften Sinnen. Darin liegt der Grund, warum Kinder, die in Einzelbereichen noch Nachreifungsbedarf haben, insgesamt durch Langsamkeit, Vermeidungsstrategien, Aufmerksamkeitsfehlern, Ablenkbarkeit und/oder rasche Ermüdung auffallen.

Entwicklung der Handfunktionen

Die Hand ist ein Kernbereich des Menschen, sie entwickelt ihre ganz eigenen Fähigkeiten, und ihre Geschicklichkeit ist eng verbunden mit dem Gehirn. Sprache und Hand, Auge und Hand – das sind die wichtigsten Kooperationen.

Die Hand durchläuft zahlreiche Phasen und differenziert sich immer feiner aus, je nach Benutzung. An ihr ist ein Entwicklungsstand abzulesen, daher schaut der Einschulungstest auf die Stifthaltung und die Mal-Fertigkeiten.

Bis zum 8. Lebensjahr sollte sich das Kind für die dominante Seite entschieden haben und die Hand nicht mehr wechseln. Das Wechseln der Hand hat tiefere Gründe, denen in der Ergotherapie nachgegangen werden muß. In dem Zusammenhang werden immer die visuellen Wahrnehmungsleistungen begutachtet, sind sie doch entscheidend für ein erfolgreiches Lernen der höheren kognitiven Fähigkeiten wie Schreiben, Lesen, Rechnen, Deutung, Rekontruieren und Nutzung des Raumes.

Bei Auffälligkeiten in den Bereichen Sehen, Hören oder Bewegen empfehle ich gegebenenfalls eine nähere Begutachtung durch die Fachleute meines Praxis-Netzwerkes. Gerne nehme ich auch mit Schule oder Kindergarten Kontakt auf, falls auch von dort eine Zusammenarbeit erwünscht ist.

Auch Sie als Eltern können dazu beitragen, daß Ihr Kind seine Schwierigkeiten überwindet und meistert. Eine Zusammenarbeit ist mir sehr wichtig, da ich mich nicht als “Reparaturstelle” verstehe, sondern auf die Eltern-Kind-Beziehung baue. So kann es durchaus zu dem Rat kommen, mal für vier Wochen auf alle Medien oder alle Süßigkeiten zu verzichten, um zu sehen, ob sich auch von da her etwas verändert beim Kind. Auch Mut zu Langeweile kann empfohlen werden, damit das Kind wieder finden kann, was es selber tun kann, was es hat.